Jeden Tag anders

Ich bin.
Jeden Tag anders.
Ach was, jede Minute. Meine Stimmung kann im Bruchteil einer Sekunde ändern. Wie passiert das eigentlich? Ich besitze die fünf Sinne, um meine Umwelt wahrzunehmen. Wenn ich eine schöne Landschaft sehe, werde ich ruhig und melancholisch. Trinke ich guten Kaffee, steigert sich meine Konzentration und Kreativität. Nehme ich den Duft von frisch gebackenem Brot wahr, fühl ich mich geborgen. Höre ich mein Lieblingslied scheint die Welt auf einmal viel heller und wärmer. Streichel ich eine Katze, genieße ich das weiche Fell.
Aber wehe ich habe zu lange nichts gegessen, oder muss dringend meine Blase leeren. Oder habe nicht genug Schlaf bekommen. Dann ist Schluss mit genießen. Denn diese Grundbedürfnisse müssen gestillt sein, damit Platz für gute Laune ist. Manchmal werde ich ganz plötzlich traurig. Ohne, dass unmittelbar etwas passiert ist. Bzw. dass ich bewusst etwas wahrgenommen hätte.
Oft ist es mein Unterbewusstes, dass eine Erinnerung gespeichert hat, die mit einem Geruch oder einem Geschmack verknüpft ist. Oder auch einfach mit einem anderen Gedanken. Und wenn dieser dann aufploppt oder der Geruch in meine Nase steigt, ist auf einmal auch das Gefühl da. Wir sind folglich in der Lage, Gefühle mit Gedanken und äußeren Einflüssen zu verknüpfen. Bzw. wir sind häufig nicht in der Lage es nicht zu tun. Ich muss zum Beispiel bei dem Lied „Breakfast at Tiffanys“ an eine alte Schulfreundin denken, weil wir das immer gehört haben. Wenn das passiert, werde ich ein bisschen sentimental und Sinne über die vergangene Zeit nach.
Wenn ich Bauchschmerzen habe, die seit Stunden nicht besser werden, sinkt meine Laune in den Keller und ich bin von den kleinsten Dingen genervt.
Der materielle Körper hat also einen großen Einfluss auf mein Seelenleben. Doch umgekehrt ist das auch der Fall! Von Sorgenüberschuss bekomme ich genauso dolle Kopfschmerzen wie von Wassermangel. Psychosomatik, um Fachsprache zu verwenden.
So unterschiedlich Materie und Nicht-Materie auch sind, sie stehen in Wechselwirkung zueinander und sind eng miteinander verknüpft. Viele Menschen lassen sich von äußeren Einflüssen leiten, sie sagen selber, dass es ihnen besser geht, wenn die Sonne scheint. Sie sind dann die „Opfer“ ihrer Umstände. Studien beweisen, dass das Wetter Einfluss auf unser Unbewusstes hat.
Doch an dieser Studie sieht man auch, dass man der materiellen Welt als Geist nicht machtlos ausgeliefert ist,wenn man sich dieser Wirkung bewusst ist. Dann ist man in der Lage, diese Verknüpfung zu trennen,bzw. Gar nicht erst herzustellen.
Menschen, die in tiefster Armut leben, haben oft ein großes Lächeln im Gesicht. Ihre Anbindung an Materie ist dann schwächer. Das nagende Hungergefühl oder dem fehlenden Schuh werden nicht übermäßig Bedeutung beigemessen. Doch auch sie können an schweren Krankheiten leiden, die das seelische Wohl so sehr beeinträchtigen, dass aus einem fröhlichen Menschen ein unausstehlicher wird.
Aber zurück zu mir, bzw. zum weiblichen Teil der Bevölkerung. Jeder weiß, wie stark sich die Stimmung einer Frau im Laufe des Zyklus verändern kann. KANN. Nicht muss. Ich kenne das von mir. Meine Tage kommen, und ich bin dünnhäutiger. Aber ich weiß das. Und ich weiß, dass niemand etwas dafür kann. Und deshalb versuche ich, meinen Mitmenschen nicht meine Gefühlslage mitzuteilen. Da muss ich mich manchmal zusammenreißen, aber hey, es geht! Ich bin nicht Opfer meiner Hormone. Ich muss nur lernen, mit ihnen umzugehen. Und bei dem Männlichen Teil unserer Bevölkerung ist es doch nicht anders. Viele Verhaltensweisen lassen sich auf die vermehrte Produktion von Testosteron zurückführen. Aber ist das auch eine Entschuldigung? Wenn man geschickt vorgeht, nutzt man die Einflüsse der äußerlichen Begebenheiten. Man wartet mit der Bitte bis nach dem leckeren Abendessen, gibt dem Partner einen Kuss bevor man etwas gesteht oder kauft dem Kind ein Eis, damit es ruhig herumsitzt und nicht schreiend durch die Gegend rennt.
Allerdings wirkt die Welt nicht nur akut und unmittelbar. Erfahrungen können andere Menschen aus uns machen. Schlimme Erlebnisse können posttraumatische Belastungsstörungen mit sich tragen und die Psyche eines Menschen für immer verändern.
Ein Horrorfilm mit Kinderaugen zu sehen kann zu jahrelangen Albträumen führen. Den Tod eines geliebten Menschen mit ansehen zu müssen, kann eine Angststörung hervorrufen. Doch auch positive Veränderungen sind möglich. Eine Weltreise kann einem unsicheren jungen Erwachsenen eine Vision schenken. Das Kennenlernen eines bestimmten Menschen die ganze Sicht aufs Leben ändern. Eine schlimme Krankheit kann neue Wege eröffnen, die man sonst nie betreten hätte. Reichtum und Macht kann die schlimmsten Seiten eines Menschen offenlegen und für viel Leid in der Welt sorgen.
Die materielle Welt ist also unfassbar mächtig, wenn wir ihr diese Macht geben, bzw. Wenn wir uns unbewusst durchs Leben treiben lassen. Wenn allein das Fehlen von genügend Vitaminen meinen Tag versauen kann, was kann dann noch alles passieren? Wenn ich mich schon nicht gegen die süßen Schmetterlinge in meinem Bauch wehren kann, wenn ich ihn sehe. Wie ist die Wirkung dann mit einem negativem Gefühl? Wenn mich die mindere Qualität der Tastatur schon unfassbar nervt… Was die Bedürfnisse angeht, ist der Mensch unersättlich.
Sobald Die Grundbedürfnisse gestillt sind, wird der Platz nach oben immer größer, genauso, wie plötzlich alles unwichtig wird, wenn man schlimme Schmerzen verspürt. Im einen Moment würde man alles dafür geben, dass der Schmerz aufhört. Im nächsten dämpfen die leere Packung Milch, der Lärm der Baustelle oder der Geruch des Sitznachbarn das Hochgefühl.

Ich bin.
Nicht jeden Tag anders.
Sondern jede Sekunde.

Mai 2019

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