Die Erschütterung des Unerschütterlichen

Es war schon spät am Abend. Die letzten Lichter gingen aus, als der Unerschütterliche in seiner kleinen Kammer saß und seine Memoiaren niederschrieb.
Er tunkte die Feder in die Tinte und schrieb in krakeliger Schrift auf das knittrige Pergament. Das Flackern des Kerzenlichts warf wackelnde Gestalten auf die Wände, die sich im Takt zu seinen Gedanken bewegten. Alles war wie immer. So schien es. Doch es braute sich etwas zusammen. Etwas unberechenbares, das der Unerschütterliche zuvor noch nie erlebt hatte. Er war gerade mitten im Satz auf der Mitte der Seite in der Mitte seiner unendlichen Gedanken, als es ihn wie ein Blitz durchfuhr. Sein Körper krümmte sich. Die Feder fiel aus seinen Fingern und die Tintentropfen verschmierten die frisch entstandenen Sätze. Er fiel vom Stuhl. Fast lautlos. Der dumpfe Aufprall seines Kopfes auf dem Fußboden schien aus weiter Ferne zu kommen. Ein Erdbeben ereilte ihn. Ein Gewitter mit peitschendem Regen und er blickte direkt in das Auge des Sturms. Im Sekundenbruchteil war es wieder vorbei. Er blinzelte, doch alles was er sah, war tiefste Schwärze. Er konnte nicht mehr die eigene Hand erkennen. Die Kerze war ausgegangen und mit ihr alles Licht. Der Rauch hing verloren in der Luft. Mühsam rappelte er sich auf und kramte in der Schublade nach Streichhölzern. Er zündete die Kerze vorsichtig wieder an. Das Licht ging an, doch nichts war mehr wie zuvor. Die Schatten bewegten sich in einem fremden Rhythmus, die Tinte war vertrocknet. Das Kratzen der Feder war nicht mehr heimlich und vertraut. Der Unerschütterliche setzte sich vorsichtig auf seinen Stuhl und starrte. Er hielt den Atem an, dann lehnte er sich langsam zurück. Selbst das Holz seines Stuhls knarzte anders als sonst. Er schaute die kahle Wand an. Stunden vergingen, doch er sah die Zeit nicht vergehen. Wissend, welches Wort er nun schreiben müsste, um der Stagnation zu entgehen. Unmöglich. Er brachte es nicht über sich. Er konnte seinen Namen nicht ändern. Denn das würde die Veränderung anerkennen. Und das hätte sich wie versagen angefühlt.

Also blieb er dort sitzen und starrte, statt die Erschütterung in seinen Namen aufzunehmen.

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